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Deutschlands Schulen holen auf – Was die OECD jetzt noch fordert Von Basil Wegener, dpa

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Wenn es neue PISA-Zahlen gibt, ist die Politik in Deutschland in
Habachtstellung. Doch diesmal haben die Bildungsforscher gute
Nachrichten: Es gibt mehr Bildungsgerechtigkeit – doch nicht genug.

Berlin (dpa) – Die erste PISA-Studie schockte 2001 die deutsche
Öffentlichkeit. Die Leistungen der deutschen Schüler waren
unterdurchschnittlich – die Schulleistung war hierzulande besonders
stark an die soziale Herkunft gekoppelt. Wie ist die Lage heute?

Wie hat sich die Bildungsgerechtigkeit entwickelt?

In kaum einem anderen Land der Organisation für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist der Anteil sozialschwacher
Schüler mit soliden Leistungen so deutlich gewachsen wie in
Deutschland – von 25,2 im Jahr 2006 auf 32,3 Prozent 2015. Auch
Israel, Japan, Norwegen, Polen, Portugal, Slowenien und Spanien
verzeichneten hier eine positive Entwicklung. In Australien,
Finnland, Neuseeland, Korea, Schweden und Ungarn ging der Anteil
dieser Schüler dagegen zurück.

Warum holte Deutschland hier auf?

Laut OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher gibt es klare
Gründe: mehr Ganztagsschulen, mehr gemeinsamer Unterricht mit
bessergestellten Schülern, mehr frühe Bildung in den Kitas. «Die
positive Entwicklung ist beeindruckend», sagt Schleicher.

Ist das Problem der Bildungsungerechtigkeit gelöst?

Bei weitem nicht – noch immer ist Deutschland hier schlechter als der
OECD-Durchschnitt. Nach Reformen für die Schulen Mitte des
vergangenen Jahrtausends habe die Veränderungsdynamik wieder
nachgelassen, sagt Schleicher.

Was muss getan werden?

«Das Lernen zu individualisieren, ist das Entscheidende für den
Bildungserfolg», sagt Schleicher. Die Schulen müssten auch offen
dafür sein, dass sich Leistungspotenziale der Schüler zu
unterschiedlichen Zeitpunkten entfalten.

Was bedeutet das konkret?

Gutes Schulklima ist laut den OECD-Ergebnissen zentral. Die Lehrer
müssten einen Geist des Zusammenwirkens an ihrer Schule empfinden.
Schlecht: hohe Lehrerfluktuation. Gut: ein vertrauensvolles
Verhältnis an den Schulen. Lehrer bräuchten Zeit außerhalb der
Unterrichtsstunden, sich um schwächere Schüler zu kümmern oder auch
Talente zu fördern. Doch die Stundendeputate seien für deutsche
Lehrer so hoch, dass es an dieser Zeit oft fehle.

Steht die Schulzuständigkeit der Länder dem Erfolg im Weg?

Laut Schleicher nicht unbedingt. Aber es brauche mehr Kooperation von
Bund, Ländern und Kommunen. «Es ist nicht sinnvoll, dass man Lehrer
in den 16 Ländern unterschiedlich ausbildet», kritisiert Schleicher.
Nicht förderlich sei es auch, wenn guter Unterricht in maroden
Schulgebäuden stattfinde. Sebastian Gallander, Geschäftsführer der
Vodafone-Stiftung, die die Studie mitinitiiert hatte, zeigt sich
optimistisch, dass eine neue große Koalition positive Weichen
stellt: «Es ist ein Fenster der Möglichkeit, das sich eröffnet.»
Immerhin wollten Union und SPD mehr Zusammenarbeit von Bund, Ländern
und Kommunen.

Wo können Vorbilder für Deutschland sein?

Schleicher führt Shanghai als Beispiel an. Dort sei der Problemdruck
wegen vieler sozialschwacher Zugezogener besonders hoch gewesen. Die
Klassen seien eher vergrößert worden, die Deputate der Lehrer lägen
mit 11 bis 16 Stunden pro Woche aber bei rund der Hälfte der
deutschen Lehrer. Dennoch arbeiteten die Pädagogen dort mehr: Sie
würden sich intensiver außerhalb des Klassenverbands mit einzelnen
Schülern befassen, wöchentlich mit den Eltern sprechen und
untereinander stärker über die Schüler beraten.

Ziehen schlechtere Schüler die besseren nach unten?

Dies könnte man bei gemeinsamem Unterricht leicht fürchten – doch
Schleicher gibt Entwarnung: «Es gibt keinerlei Absinken der
Leistungen.» Das zeigten der internationale Vergleich und die
deutsche Entwicklung. Während die stärkere Zusammenführung von Haupt-
und Realschulen die Leistungen dort verbessert habe, seien an den
eher gleich gebliebnen Gymnasien die Leistungen nicht besser
geworden.

Was erschwert Verbesserungen in Deutschland?

Der Chef des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, sagt: «Die
momentane Realität, dass dem Lehrermangel durch eine Vielzahl von
personellen Notmaßnahmen versucht wird entgegenzuwirken, steht dem
entgegen.» Wegen fehlender Lehrer gibt es immer mehr Seiteneinsteiger
– 3015 waren es im Schuljahr 2016/17. Schleicher mahnt, die Mittel
nicht an falscher Stelle einzusetzen, wenn es nicht mehr davon geben
sollte: Mehr Computer an den Schulen allein zum Beispiel brächten
kein besseres Lernklima.

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