Tausende Kinder sammeln deutschlandweit kleine bunte Deckel, um die
Krankheit Kinderlähmung weltweit einzudämmen. Entstanden ist die Idee
2013. Seitdem hat sie einiges in Bewegung gebracht – und Kindern in
anderen Ländern das Leben gerettet.
Würzburg/Elmenhorst (dpa) – Milla, Frieda und Clara zählen
konzentriert viele bunte Plastikdeckel und sortieren sie dabei von
einem weißen Eimer in einen anderen. Mehrere Hundert Deckel liegen
vor ihnen. «Immer wenn ich zehn Stück gezählt habe, mache ich einen
Strich», sagt die neunjährige Frieda von der Grundschule des
Elisabethenheims in Würzburg. Die Kinder zählen die
Kunststoffverschlüsse nicht etwa, um ihr mathematisches Können zu
vertiefen. Sie tun das, um im weltweiten Kampf gegen die
hochansteckende Infektionskrankheit Kinderlähmung mithelfen zu
können. «Mit etwa 500 Deckeln kann eine Impfung gegen Kinderlähmung
bezahlt werden», erklärt Lehrer Rainer Claus. Seit fast zwei Jahren
betreut er das Projekt an der Schule.
In Deutschland und Europa ist Kinderlähmung (Poliomyelitis) bereits
ausgerottet. Sie kann Lähmungen auslösen und zum Tod führen. In
Ländern wie Pakistan, Afghanistan und Nigeria gibt es sie dagegen
noch. Auch mit Blick auf den regen internationalen Reiseverkehr
empfiehlt das Robert-Koch-Institut (RKI) deshalb die Impfung für alle
Kinder und Erwachsene.
Bei Kinderlähmung gibt es keine Heilung. Sie kann aber mit einer
Impfung verhindert werden. In Deutschland sind dem RKI zufolge fast
95 Prozent aller Erstklässler gegen Polio geimpft. In ärmeren Ländern
ist die Bilanz längst nicht so gut – und damit kann das Virus auch in
poliofreie Gebiete wieder eingeschleppt werden.
In den 1980er Jahren haben sich die Wohltätigkeitsorganisation Rotary
und die Weltgesundheitsorganisation WHO das Ziel gesetzt, die
Krankheit weltweit auszurotten. Seitdem sammeln die Rotarier für das
Projekt «End Polio now» (Jetzt Polio stoppen) jedes Jahr sehr viel
Geld. Die Grundimmunisierung eines Säuglings mit vier
Schluckimpfungen kostet der Hilfsorganisation Unicef zufolge 68 Cent.
Die deutschen Rotary-Clubs setzen zudem auf die Kunststoffverschlüsse
von Milch- und Saftkartons sowie Plastik-Getränkeflaschen. Denn diese
Deckel bestehen aus Polyethylen, einem hochwertigen und gut
recycelbaren Material. Ein Deckel wiegt etwa zwei Gramm. Und eine
Tonne davon bringt rund 300 Euro, wenn sie an ein
Recyclingunternehmen verkauft wird.
Alte Deckel werden zu barem Geld: Auf diese Weise kann sich jeder an
der Spendenaktion beteiligen. Die Idee dazu kam von Dennis Kissel und
einigen Freunden. Er ist Geschäftsführer eines kommunalen
Abfallunternehmens im schleswig-holsteinischen Elmenhorst. In einer
Kneipe in Spanien entstand die Idee – wieder zurück in Deutschland
gründen sie den Verein «Deckel drauf», schaffen die Infrastruktur,
entwerfen Flyer und hoffen auf viele Deckelspenden. Das war im Sommer
2014.
«Es hat am Anfang ewig gedauert, bis wir die ersten zwei
36-Kubikmeter-Container voll hatten», erinnert sich Kissel. Voll
gefüllt mit Plastikdeckeln ergibt das gut 15 Tonnen. Dafür ist die
Euphorie bundesweit mittlerweile umso größer. «In diesem Jahr haben
wir schon 200 Tonnen in die Verwertung gegeben», sagt der
Vereinsvorsitzende.
Weil der Verein die Deckelsammelei in Deutschland angestoßen hat,
konnten bereits 85 000 Euro erwirtschaftet werden – mit alten
Deckeln, die sonst vielleicht in der Müllverbrennung gelandet wären.
«Wir sammeln etwas, das nichts wert ist. Aber wir setzen mit ganz
vielen Menschen an und bewirken dann etwas», sagt Kissel dazu. Dass
die Aktion mittlerweile bundesweit ein so großes Echo auslöst,
überrascht ihn immer wieder. «Wenn beim G7-Gipfel in Deutschland das
Service-Personal Deckel für uns sammelt, müssen wir schon schlucken.»
In der Würzburger Grundschule haben die Kinder der Klasse 4b erst vor
wenigen Tagen die 100 000-Deckel-Marke geknackt – das macht etwa 200
Impfungen. Silke Rock, die Klassenlehrerin von Milla, Frieda und
Clara, ist begeistert von dem Projekt: «Die Aktion stärkt das
Umweltbewusstsein. Es bringt ihnen bei, nicht nur an sich selbst
denken, sondern auch an andere», sagt sie. Die Mädchen haben
inzwischen alle Deckel gezählt. 860 Stück gingen an dem Morgen durch
ihre Finger.
Um ausreichend Nachschub für die nächste Deckel-Zähl-Aktion müssen
sie sich keine Sorgen machen. Dafür sorgen sie schließlich auch
selbst: «Jeden Samstag, bevor Mama beim Einkaufen alle Pfandflaschen
wegbringt, schraube ich immer alle Deckel ab», sagt Frieda und lacht
zufrieden.