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Baustelle – trotz positiver Befunde

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Die von der Kanzlerin ausgerufene «Bildungsrepublik Deutschland»
entwickelt sich – eher langsam. Bis zu echter Chancengerechtigkeit
ist der Weg noch weit. Kinder von Migranten tun sich nach wie vor oft
schwer im Bildungssystem. Demnächst auch die jungen Flüchtlinge?

Berlin (dpa) – Der Notendurchschnitt ist besser geworden, aber manche
Zensuren sind noch nicht gut genug: Der Bericht «Bildung in
Deutschland 2016» macht deutlich, dass trotz hoher Ausgaben und
positiver Trends noch eine Menge zu tun ist für Kitas und Schulen,
Ausbildungs- und Hochschulsektor. Die Bildungspolitiker von Bund und
Ländern sehen das Glas dennoch eher halbvoll als halbleer.
Schlaglichter des neuen Reports:

MEHR BILDUNG BEI FORTBESTEHENDER UNGLEICHHEIT – So lautet eine der
Kernthesen der Studie des Deutschen Instituts für Internationale
Pädagogische Forschung (DIPF). Dessen Wissenschaftler Prof. Kai Maaz
sagt: «Der Trend zu mehr Bildung ist ungebrochen.» Aber er beklagt
auch «sehr ungleiche Voraussetzungen» beim Erwerb von Bildung.
«Soziale Herkunft, Migrationshintergrund und zunehmend auch regionale
Rahmenbedingungen üben einen starken Einfluss auf den Bildungserfolg
aus.» Bundesbildungsministerium und Kultusministerkonferenz verweisen
auf hohe Investitionen nach dem PISA-Schock. So seien die Ausgaben je
Schüler von 4900 Euro (2005) auf 6500 Euro (2013) gestiegen.

BESSERE KITA-BILANZ – Im Jahrzehnt seit dem ersten Bildungsbericht
von 2006 gab es in dieser Altersstufe eine Chancenangleichung, auch
deutlich mehr Kinder mit Migrationshintergrund gehen in Kitas. Doch
immer noch ein Viertel der Fünfjährigen hat Sprachförderbedarf in
Deutsch – dieser Anteil blieb seit einigen Jahren in etwa konstant.
«Insbesondere Kinder aus Elternhäusern mit niedrigem Schulabschluss
sowie mit nicht deutscher Familiensprache werden vermehrt als
sprachförderbedürftig diagnostiziert», schreiben die DIPF-Autoren.
Auch hier sieht sich die Bildungspolitik auf gutem Weg: So habe der
Personalstand in Kindertageseinrichtungen mit 515 000 pädagogisch
Beschäftigen 2015 einen neuen Höchststand erreicht.

GERINGE QUALIFIKATION NACH DER SCHULZEIT – Trotz der vom DIPF
festgestellten «Bildungsexpansion» schaffen noch zu viele junge
Menschen gerade mal den Hauptschulabschluss oder starten ohne echte
Qualifikation ins Berufsleben – zuletzt wieder mit steigender
Tendenz. Dabei verlassen ausländische Jugendliche schon jetzt mehr
als doppelt so häufig die Schule ohne Hauptschulabschluss, und sie
erreichen viel seltener die Hochschulreife. Es gelte weiterhin, «die
Anzahl gering qualifizierter Menschen zu reduzieren», fordert Prof.
Maaz. «Es ist mühselig», räumt Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU)
ein – trotz vieler gut gemeinter Programme.

WENIGER EXTREM LEISTUNGSSCHWACHE – Verbesserungen gibt es seit der
ersten PISA-Erhebung des Jahres 2000 vor allem bei Jugendlichen aus
ärmeren Elternhäusern, etwa in puncto Lesekompetenz. Die Risikogruppe
der leseschwachen 15-Jährigen verkleinerte sich von 23 auf 15
Prozent. Und auch die Quote der jungen Menschen, die nicht mal einen
Hauptschulabschluss vorweisen können, ging zurück – auf 6 Prozent.

NICHTSTAATLICHE SCHULEN AUF DEM VORMARSCH – Freie und kirchliche
Schulträger stellen bundesweit fast elf Prozent des Angebots.
Besonders in Ostdeutschland gibt es hier einen starken Anstieg, etwa
in Mecklenburg-Vorpommern auf den Bundesländer-Höchstwert von 18
Prozent. Gerade in ländlichen Regionen ersetzen Schulen in freier
Trägerschaft teilweise das rückläufige Angebot öffentlicher Schulen –
laut DIPF ein Hinweis, dass die Bildungsinfrastruktur den Ansprüchen
vieler Eltern nicht mehr gerecht wird.

ÜBERALL ERHÖHTE CHANCEN MIT DUALER AUSBILDUNG – Die Übernahmequoten
nach Abschluss einer betrieblichen Lehre sind laut Bildungsbericht
nun auch «in den ostdeutschen Ländern gestiegen und nähern sich denen
in Westdeutschland immer mehr an». Allerdings bleibt die hochgelobte
duale Ausbildung in Deutschland insgesamt ein Problemkind: Viele
Betriebe klagen, dass sie keine «passenden» Lehrlinge finden, viele
Stellen bleiben unbesetzt – doch genau danach suchen zugleich viele
Jugendliche mit niedrigem oder ohne Schulabschluss vergeblich.

AUSBILDUNG VERSUS STUDIUM – «Der Trend, dass junge Erwachsene nach
dem Schulabschluss vermehrt ein Hochschulstudium anstreben, hält an»,
stellt der DIPF-Report fest. Die Kehrseite: «Der Anteil derer, die
ins duale System gegangen sind, ist in den vergangenen 15 Jahren um
100 000 Personen gefallen», sagt Prof. Maaz. Ministerin Wanka
verweist auf große zusätzliche Anstrengungen der Politik, die
Bereitschaft zu einer betrieblichen Ausbildung zu stärken.

FLÜCHTLINGE ALS HERAUSFORDERUNG UND CHANCE – Der Report würdigt im
Zehnjahresvergleich «die vielfältigen Bemühungen um die Integration».
Allein für die 2015 nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge seien,
vom frühkindlichen Bereich bis zur beruflichen Bildung, «zusätzliche
Kosten in Höhe von etwa 2,2 bis 3 Milliarden Euro notwendig». Allein
für den Flüchtlingsandrang des Vorjahres sollten bis zu 44 000 Lehrer
und Erzieher neu eingestellt werden. KMK-Präsidentin Claudia Bogedan
schockt diese Zahl nicht: Damit sei die DIPF-Berechnung nicht weit
weg von den Personalplanungen der Bundesländer.

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