Noch bevor Kanzlerin Merkel in die USA zu US-Präsident Trump reist,
hat sich CSU-Chef Seehofer ein derzeit nicht minder umstrittenes
Reiseziel ausgesucht: In Moskau trifft er den russischen Präsidenten.
München/Moskau (dpa) – «Aufruhr gegen Merkel», «unstillbares
Geltungsbedürfnis» – als CSU-Chef Horst Seehofer im Februar 2016 den
russischen Präsidenten Wladimir Putin besuchte, hagelte es Kritik von
allen Seiten. Nicht nur die bayerische Opposition, auch der
Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), schlug
Alarm, weil Seehofer die Lockerung der Sanktionen gegen Russland
einforderte und den Ukrainekonflikt als «Schießerei» bezeichnete. An
diesem Mittwoch (15. März) reist der Ministerpräsident erneut zu
Putin nach Moskau. Droht der nächste Sturm der Empörung?
Wohl eher nicht. Der Kreml erlebt außenpolitisch intensive Tage.
Vergangene Woche gaben sich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD),
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und der türkische Präsident
Recep Tayyip Erdogan hier die Klinke die Hand. Es gibt kaum ein
internationales Problem, in dem Moskaus Hilfe nicht gefragt ist.
Dies findet auch Seehofer: «Ich bin dagegen, dass wir das alte
Blockdenken praktizieren, die einen als die Guten und die anderen als
die Bösen einteilen.» Ohne Moskau könnten viele Brandherde in der
Welt nicht gelöst werden. Auch an seiner Meinung über die Sanktionen
hat sich nichts geändert. Weil viele bayerische Unternehmen darunter
leiden, hält er sie für falsch. Das seit Jahren sinkende
Handelsvolumen von Bayern und Russland lag 2016 bei 7,62 Milliarden
Euro und damit deutlich unter den 13,1 Milliarden Euro von 2012.
Auch Russland ist an guten Wirtschaftsbeziehungen zum Freistaat wie
zu ganz Deutschland interessiert. Mehr als 5500 Unternehmen mit
deutscher Beteiligung sind in Russland vertreten, mehr als ein
Viertel davon kommt aus Bayern. Doch nicht nur deshalb hat Putin für
deutsche Politiker fast immer Zeit. Mit keinem anderen Land möchte er
so gerne befreundet sein. Dass gerade Deutschland die Annexion der
ukrainischen Halbinsel Krim 2014 als Verstoß gegen die europäische
Friedensordnung sieht, verstehen viele Russen nicht. Beim
Gabriel-Besuch sprachen Putin und sein Außenminister Sergej Lawrow
über Handel und Kulturaustausch, als sei nichts gewesen.
Gabriel hatte bei seinen Moskau-Besuchen als Wirtschaftsminister
ähnlich wie Seehofer schon vor einem Jahr eine Lockerung der
Sanktionen verfochten. Als Außenminister sagte er der russischen
Seite klar, dass der Krieg in der Ostukraine, in dem Moskau seine
Hand im Spiel hat, eben noch nicht vorbei ist. Dies weiß auch
Seehofer, der voraussichtlich schon Ende April nach Kiew zum dortigen
Präsidenten Petro Poroschenko reisen will. Im Gegensatz zu Russland
verbindet Bayern mit der Ukraine aber keine große Wirtschaftskraft.
Sein Besuch ist deshalb eher als außenpolitische Geste zu verstehen,
ob er dort auch kritische Worte über Russland finden wird, ist offen.
Generell hat das Thema Sanktionen in den vergangenen Monaten an
Schärfe verloren. Moskau würde die Strafmaßnahmen zwar gern ganz
abschütteln, die russische Wirtschaft hat sich aber trotzdem leicht
erholt – vor allem dank eines stabileren Ölpreises. Für deutsche
Minister oder Landesväter ist es daher besonders wichtig, von dem
Kuchen etwas abzubekommen: Wenn Seehofer am Mittwoch in Moskau
landet, kann er theoretisch Berlins Regierenden Bürgermeister Michael
Müller treffen, der dann wieder auf den Heimweg ist – anders als
Seehofer wird der aber nicht von Putin empfangen.
Seehofers außen- und wirtschaftspolitische Ambitionen werden in der
CDU laut Nachrichtenmagazin «Spiegel» skeptisch gesehen: 2016
werteten viele in der Schwesterpartei den Besuch als offenen Affront
gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Wenn Seehofer wieder fordere,
die damals verhängten Sanktionen gegen Russland müssten aufgehoben
werden, dann mache er sich zum Propagandagehilfen Putins, zitierte
der «Spiegel» erst kürzlich ein hochrangiges CDU-Mitglied.
An Seehofer perlt diese Form von Kritik aber ebenso ab, wie einst
seine Charakterisierung in veröffentlichten Depeschen der
US-Botschaft als «unberechenbar» und außenpolitisch weitgehend
ahnungslos. Am liebsten wäre er schon im Oktober erneut zu Putin
gereist. Doch dann kam der Streit in der Union zur Asylpolitik und
die Entscheidung zum Länderfinanzausgleich in die Quere.
Umso mehr scheint es nun zu reden zu geben: Neben Alt-CSU-Chef Edmund
Stoiber werden auch Wirtschaftsministerin Ilse Aigner,
Landwirtschaftsminister Helmut Brunner und Kultusminister Ludwig
Spaenle (alle CSU) dabei sein. Wer sein halbes Kabinett mitbringt,
scheint im Kopf das Ende der Sanktionen bereits eingeläutet zu haben,
obwohl in der Ostukraine immer noch geschossen und gestorben wird.
«Wenn man nicht miteinander redet, kann man auch nicht seine
Überzeugungen vortragen, das gehört zu einer modernen Politik»,
rechtfertigte Seehofer seine Reisefreudigkeit beim Politischen
Aschermittwoch in Passau vor den eigenen Parteifreunden. Denn auch in
der CSU sehen einige die Besuche bei Putin, insbesondere aber auch
der noch in diesem Jahr wohl angedachte bei US-Präsident Donald Trump
mit einem Bauchgrummeln.