Mehr Prävention und ein guter Draht zur Polizei: Damit hatten
deutsche Schulen in den vergangenen Jahren einen stetigen Rückgang
von Gewalt und Kriminalität in Klassenräumen und auf Pausenhöfen
erreicht. Nun steigen die Zahlen wieder. Wie lässt sich das erklären?
Hannover (dpa) – Nachdem Kriminalität und Gewalt an der Mehrzahl
deutscher Schulen viele Jahre lang rückläufig gewesen sind, melden
zahlreiche Bundesländer für 2017 einen oft spürbaren Anstieg. Dieser
liegt im Trend mit einem sich abzeichnenden generellen Wiederanstieg
der Jugendkriminalität, die ebenfalls viele Jahre zurückging. Zu den
Gründen für eine Zunahme der Zahl der an Schulen registrierten
Straftaten gibt es noch keine Erklärung, denn Prävention wird seit
langem groß geschrieben. Bundesweite Zahlen will das
Bundeskriminalamt in einigen Wochen vorlegen.
Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen stieg die
Zahl der Schulstraftaten 2017 um fast fünf Prozent auf 22 900, das
waren gut 1000 Taten mehr als im Vorjahr, wie das Landeskriminalamt
(LKA) mitteilte. Auffällig ist, dass besonders die Gewaltdelikte an
den Schulen zunahmen, während die Fälle von Diebstahl sogar
zurückgingen. So nahm die Zahl der Körperverletzungen von 5600 auf
6200 zu. Die Zahl der Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen stieg
im Vergleichszeitraum von 40 auf 55 Fälle.
In Niedersachsen stieg die Zahl der Schulstraftaten im Vergleich zum
Vorjahr um 32 Prozent auf 5556 Fälle. Besonders kräftig war die
Zunahme bei Körperverletzungen (plus 29 Prozent) sowie Diebstählen
(plus 19 Prozent), wobei es in knapp der Hälfte der Fälle um
Fahrraddiebstähle ging. Die Rauschgiftdelikte stiegen zwar um 43
Prozent, spielten mit 460 Fällen aber insgesamt nur eine Nebenrolle.
Beleidigungen wurden 394 mal angezeigt. Gut zwei Drittel aller Taten
wurden aufgeklärt, die große Mehrzahl der Täter war männlich.
Der Anstieg der Straftaten an Schulen geht nach Angaben des
Landeskriminalamtes auch einher mit einem Anstieg der gesamten
Jugendkriminalität in Niedersachsen im Jahr 2017. Nach zehnjährigem
Rückgang nahm die Zahl minderjähriger Tatverdächtiger um vier Prozent
zu, die Zahl tatverdächtiger Kinder stieg um 21 Prozent. Die Gründe
will das LKA untersuchen. Auch für den Wiederanstieg der Kriminalität
an Schulen gibt es noch keine Erklärung.
Wie der Kriminologe Christian Pfeiffer der Deutschen Presse-Agentur
sagte, könne der Anstieg an einem geänderten Anzeigeverhalten liegen.
In Zeiten großer medialer Aufregung über Gewalttaten würden
Straftaten häufiger angezeigt. Auch wenn es sich bei den mutmaßlichen
Tätern um Ausländer handele, sei die Anzeigebereitschaft statistisch
erwiesenermaßen höher. Mit einer nach dem Flüchtlingszuzug
gestiegenen Zahl ausländischer Schüler könne dies möglicherweise den
Anstieg erklären.
Die Zahl der Straftaten an niedersächsischen Schulen hatte 2008 bei
8575 gelegen, 2006 waren noch 10 523 Fälle registriert worden. Als
Gründe für den Rückgang seitdem wurden vor allem die ausgebaute
Gewaltprävention gesehen sowie die verbesserte Zusammenarbeit der
Schulen mit der Polizei.
Wie die Sprecherin der Landesschulbehörde in Lüneburg erklärte, gibt
es an den Schulen verschiedene Programme zur konstruktiven
Konfliktlösung für Schüler und für Lehrer zur Steigerung des sozialen
Miteinanders in der Klasse. Bei Konflikten könnten auch die
Schulsozialarbeit und Beratungslehrer helfen. Über Straftaten an
Schulen müsse die Leitung die Polizei informieren. Die übrigen
Bundesländer verfahren ähnlich.
Dafür, dass die Jugendkriminalität bundesweit viele Jahre lang
rückläufig war, gibt es nach Untersuchungen von Kriminologe Pfeiffer
mehrere Ursachen. Diese sind unter anderem die steigende
Schulbildung, weniger Gewalt im Elternhaus, eine geringere Akzeptanz
von Gewalt sowie mehr Prävention und auch die rückläufige
Arbeitslosigkeit. Weitere Gründe seien der Rückgang jugendlichen
Alkoholkonsums, weniger Schulschwänzer, ein konsequenteres
Einschreiten der Schulen gegen Gewalt sowie mehr Zuwendung der Eltern
für ihre Kinder.
Der jüngste Zuwachs der Schulkriminalität ist bundesweit nicht
überall ähnlich kräftig. In Hessen gab es nur 89 Fälle mehr als im
Vorjahr. Schwerpunkte blieben Fahrraddiebstähle und
Körperverletzungen. 2017 wurden in Hessen 3232 Tatverdächtige
erfasst, davon hatten 728 nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. In
Baden-Württemberg gab es ein Plus bei der Schulkriminalität von 5
Prozent. In der großen Überzahl wurde gegen männliche, deutsche
Tatverdächtige ermittelt.
In Thüringen wurden 2202 Straftaten an Schulen erfasst – 157 mehr als
im Vorjahr. Der Anteil ausländischer Tatverdächtiger stieg von 8,2
auf 11,3 Prozent. An Schleswig-Holsteins Schulen stiegen die Zahlen
besonders bei Rohheitsdelikten und Sachbeschädigungen an. In Bayern
gab es mit 8356 Fällen von Schulgewalt 540 mehr als im Vorjahr.